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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 06.08.2009
Aktenzeichen: 4 V 182/09
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 134
ZPO § 580
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung.

Der Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Polen. Mit Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 nahm der Antragsgegner den Antragsteller auf Zahlung von Einfuhrabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) sowie Zinsen in Höhe von insgesamt EUR 24.587.740,55 in Anspruch. In der Begründung des Bescheids heißt es u.a., dass sich der Antragsteller nach den Ermittlungen des Zollfahndungsamtes der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Steuerhinterziehung in mindestens 60 Fällen in der Zeit vom 18.09.2001 bis 23.06.2003 schuldig gemacht habe, indem er gemeinschaftlich mit weiteren, gesondert verfolgten Personen handelnd unverzollte und unversteuerte Zigaretten aus Polen in das Zollgebiet der Gemeinschaft geschmuggelt habe, um diese über Deutschland nach Großbritannien weiterzutransportieren und dort abzusetzen.

Der Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 wurde dem Antragsteller am 31.08.2005 durch die polnischen Finanzbehörden bekannt gegeben. Der Antragsteller erhob gegen den Steuer- und Zinsbescheid am 11.10.2005 Einspruch, den der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verwarf. Der Antragsteller erhob gegen die Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 in der Folgezeit keine Anfechtungsklage.

Am 04.09.2007 erhob der Antragsteller allerdings eine auf Feststellung der Nichtigkeit des Steuer- und Zinsbescheides vom 10.05.2005 gerichtete Klage, der das Finanzgericht mit Urteil vom 28.02.2008 (4 K 307/07) stattgab. Auf die vom Antragsgegner gegen das finanzgerichtliche Urteil eingelegte Revision hob der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 17.03.2009 (VII R 40/08) das Urteil des Finanzgerichts vom 28.02.2008 (4 K 307/07) auf und wies die Klage ab.

Der Antragsteller hat am 19.06.2009 unter Hinweis auf § 134 FGO i.V.m. § 580 Nr. 7 b ZPO Restitutionsklage erhoben und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel, bis zum Abschluss des Restitutionsverfahrens eine weitere Vollstreckung aus dem Steuer- und Zinsbescheid vom 10.5.2005 abzuwehren. Zur Begründung hat der Antragsteller eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft A vom 25. Mai 2009 sowie zwei Vermerke der Staatsanwaltschaft A aus dem März 2008 eingereicht, die ihm die Staatsanwaltschaft A am 25.05.2009 zugesandt hatte. In diesen Vermerken stellt die Staatsanwaltschaft A in Bezug auf den Antragsteller fest, dass die Ermittlungsergebnisse des Zollfahndungsamtes ausschließlich auf unverwertbaren Telefonüberwachungsmaßnahmen beruhten mit der Folge, dass das gegenüber dem Antragsteller eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachtes gemäß § 170 Abs. 2 StPO einzustellen sei. Mit Blick auf diese Einschätzung der Staatsanwaltschaft A meint der Antragsteller, dass auch der Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 auf unverwertbaren Erkenntnissen beruhe und deshalb nichtig sei. Da jedenfalls die Vermerke der Staatsanwaltschaft A im März 2008 bereits vorhanden gewesen seien, hätte er diese Urkunden in den Vorprozess einführen und verwenden können. Die erhobene Restitutionsklage rechtfertige sich vor dem Hintergrund, dass er von der Existenz dieser Beweismittel erst nach Abschluss des Vorprozesses erfahren habe.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, von einer weiteren Vollstreckung des Steuer- und Zinsbescheides vom 10.05.2005 abzusehen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7 b ZPO seien nicht erfüllt. Außerdem äußert er Zweifel hinsichtlich der Zuständigkeit des Finanzgerichts. Da der Antragsteller die Aufhebung eines Urteils des Bundesfinanzhofs begehre, sei für die erhobene Restitutionsklage gemäß § 134 FGO i.V.m. § 584 ZPO der Bundesfinanzhof zuständig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 4 V 182/09 und 4 K 181/09 Bezug genommen.

II. Der gemäß § 114 Abs. 1 FGO zulässige (hierzu unter 1.) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt in der Sache ohne Erfolg (hierzu unter 2.).

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO ist zulässig, insbesondere ist das angerufene Finanzgericht zuständig.

Gemäß § 134 FGO i.V.m. § 584 ZPO ist für eine Klage auf Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nur dann eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts gegeben, wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil aufgrund der §§ 579, 580 Nr. 4, 5 ZPO angefochten wird (vgl. BFH, Beschluss vom 26.06.2003, III K 1/03, BFH/NV 2003, 1436). In den Fällen des - wie hier - § 580 Nr. 7 ZPO ist für die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht der Bundesfinanzhof, sondern das Finanzgericht zuständig.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nicht begründet. Denn der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die von ihm erhobene Restitutionsklage dürfte nach dem Prüfungsmaßstab dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mangels Vorliegens eines Restitutionsgrundes unzulässig sein. Insoweit merkt der beschließende Senat im Einzelnen Folgendes an:

Gemäß § 134 FGO i.V.m. § 580 Nr. 7 b ZPO findet eine Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine (andere) Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand versetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Der Begriff der Urkunde im Sinne der genannten Vorschrift ist zwar nach einhelliger Auffassung weit auszulegen (vgl. nur VG Ansbach, Urteil vom 16.03.2005, AN 3 K 04.30049, [...]) und umfasst grundsätzlich alle schriftlichen Gedankenerklärungen (vgl. Musielak, in: Musielak, ZPO, 5. Auflage, § 580, Rz. 16). In der Rechtsprechung und Literatur ist allerdings auch geklärt, dass an den Inhalt einer Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO bestimmte Anforderungen zu stellen sind. So müssen sich aus der in Rede stehenden Urkunde insbesondere Tatsachen ergeben, die den Streitgegenstand des Vorprozesses betreffen und sich auf den Tatsachenstoff beziehen, auf den der Kläger in diesem Verfahren seine Klage gestützt hat (vgl. Musielak, in: Musielak, ZPO, 5. Auflage, § 580, Rz. 17), die Urkunde muss augenfällig machen, dass das mit ihr angegriffene Urteil möglicherweise der sachlichen Rechtslage nicht entspricht (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 580, Rz. 16). Die Vorschrift des § 580 Nr. 7 b ZPO verlangt mithin eine Urkunde, die aufgrund ihres spezifischen urkundlichen Erkenntnis- und Beweiswertes hinsichtlich der dem Urteil zu Grunde zu legenden Tatsachen eine für die Partei günstigere Entscheidung herbeiführen könnte (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 02.02.2006, 4 U 41/05, [...]). Unter den Begriff der Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO fallen daher beispielsweise nicht solche Urkunden, die lediglich neue Bekundungen von Sachverständigen enthalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07.1994, 11 B 87/94, [...]; Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 580, Rz. 21). Auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stellt folglich keine Urkunde im Sinne der genannten Vorschrift dar, da es regelmäßig lediglich eine Rechtsfrage beantwortet (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 02.02.2006, 4 U 41/05, [...]). So liegt der Fall denn auch hier:

Die Vermerke der Staatsanwaltschaft A aus dem März 2008 befassen sich ausschließlich mit der rechtlichen Fragestellung, ob bezogen auf die Person des Antragstellers die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren verwertet werden durften. Sie enthalten weder neue Einlassungen der Beschuldigten noch sonst wie bislang nicht bekannte tatsächliche Erkenntnisse.

Der beschließende Senat hat im zu betrachtenden Kontext bedacht, dass auch Strafbefehle und Strafurteile zum Beweis geeignete Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO sein können (vgl. BGH, Urteil vom 07.11.1990, IV ZR 218/89, NJW-RR 1991, 380; Urteil vom 06.07.1979, I ZR 135/77, NJW 1980, 1000). Ein Strafurteil bzw. Strafbefehl ist indes nicht hinsichtlich seines Ausspruchs (Tenors), sondern lediglich in Bezug auf die ihm zugrunde liegenden (tatsächlichen) Vorgänge eine zum Beweis geeignete Urkunde im Sinne der Vorschrift des § 580 Nr. 7 b ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 07.11.1990, IV ZR 218/89, NJW-RR 1991, 380). Vor diesem Hintergrund kommt dann auch die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft A vom 25.05.2009 als Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO a limine nicht in Betracht, gibt diese doch lediglich das rechtliche Ergebnis des Ermittlungsverfahrens - scil. Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts - wieder. Darüber hinaus scheidet die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft als Restitutionsgrund auch deshalb aus, weil sie erst nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangen ist; eine im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO anzuerkennende Urkunde muss aber grundsätzlich bereits in dem Zeitpunkt errichtet worden sein, in dem sie die Partei im Vorprozess noch hätte benutzen können (vgl. nur Musielak, in: Musielak, ZPO, 5. Auflage, § 580, Rz. 21; Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 580, Rz. 16 a).

Ob mit Blick auf die im Rahmen der unzulässige Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse eine Korrektur des in Rede stehenden Steuer- und Zinsbescheides nach gemeinschaftsrechtlichen (Art. 8 ff. ZK) oder nationalen Vorschriften (§§ 130 ff. AO, §§ 48 ff. VwVfG) in Betracht kommt, hat der beschließende Senat in diesem gerichtlichen Verfahren nicht zu entscheiden.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 128 Abs. 3 i.V.m. 115 Abs. 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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